Montag, 6. August 2012

Die Präsenz, der Prozess und die goldene Karotte

von Arne Eckert


Dieser Beitrag erscheint in dem 704-Seiten umfassende Buch
Erleuchtung – Phänomen und Mythos“ 
http://www.forum-erleuchtung.de/1-berlin-kongress/publikationen



Erleuchtung ist ein großes Wort, von dem kaum einer weiß was es wirklich bedeutet. Ohne die Erfahrung hat man nur eine Ahnung, was es sein könnte. Eine Vorstellung,  die wir aufgrund des Hörensagens aufbauen, da immer mehr Menschen aufwachen und sich als Erleuchtet erklären. Und wie aus einem Munde sagen alle, "Du bist DAS!" "Sei still!" "Es ist Deine Natur." 
Und da sind dann die, die diesen Ruf vernehmen und sich ihnen zu Füssen setzen um zu lauschen. Um zu verstehen und mehr und mehr zu fühlen, wovon denn da gesprochen wird. 
"Wie? Das soll hier alles in Ordnung sein, wie es ist? Ich, soll in Ordnung sein wie ich bin? Ich muß mich gar nicht verändern, verbessern, oder ein anderer Mensch werden, um die diese eine Wahrheit zu verstehen und um frei zu sein?"
H.W.L. Poonja, den seinen Schülern liebevoll „Papaji“ nannten, hatte es ihnen leicht gemacht das zu erkennen und dieser Leichtigkeit haben wir es zu verdanken, daß es nun in westlichen Städten an jeder Ecke Satsang Veranstaltungen gibt. Diese Stille erscheint so schön einfach und jeder, der sich in diesen stillen Raum begibt, wird berührt von etwas, vom dem man mehr haben will. 
Jedoch, - diese "Reine Lehre" des Advaita Vedanta den Menschen zu vermitteln, ist scheinbar doch ein großes Unterfangen. Adi Shankara hatte um 800 n.u.Z. die Lehren des Gaudapada, aus den Upanishaden durch seine Kommentare zu einem großen Bekanntheitsgrad in Indien gebracht. Heute wird diese Lehre auch im Westen weiter verbreitet und wir sehen immer mehr Menschen „erwachen". Gleich ob sie nun der Philosophie dieser Lehre oder einem Lehrer gefolgt sind. Jedoch auch wenn Shankara seinerzeit ein neues religions-philosophisch Verständnis und damit einhergehende gesellschaftliche Veränderungen antrieb, so blieb der Weg des Asparshayoga,  (Yoga ohne Stütze) nur den Wenigen vorbehalten die Willens sind, der Welt ganz zu entsagen. So schrieb er: „Nur wer Unterscheidungs-vermögen besitzt und seine Gedanken von allen irdischen Freuden abwendet, wer Gleichmut und die verwandten Tugenden besitzt, wer überdies nach Befreiung verlangt, ist befähigt Brahman zu suchen“.
Ist das eine Aussage, die ein westlicher Sucher hören will? Was ihn aus seiner gewohnten geistigen Komfortzone heraus lockt, um sich auf etwas einzulassen, was er nicht kennt. Nein, es ist die Aussicht, dass es ganz einfach ist, und dass man es ganz leicht erreichen kann, die uns lockt. Was dann aber als die goldenen Karotte erscheint, als etwas, das man irgendwann in der Zeit erreichen könnte. Das man jedoch sich selber mit diesem Gedanken zu einem Esel macht, dem diese Karotte vor die Nase gehalten wird, ist den meisten Suchenden nicht im geringsten klar. 
Wir wollen diese vom Geist gerade zu vergoldete Karotte haben, sie erscheint als die Lösung unseres Problems. Alles wird dann besser. "Ich kann mich endlich in meiner Haut wohl fühlen. Dann bin ich raus aus dem ganzen Schlamassel."
Das waren auf jeden Fall meine Motivation, als ich anfing in den Satsang zu gehen. Nach dem Osho gestorben war und weiteren 5 Jahre eiserner Zen Praxis, hatte ich die Idee, dass es Befreiung gibt, einfach aufgegeben. 
Im Satsang wurde diese Hoffnung wieder entfacht. Ich wurde Schüler von OM C. Parkin - nicht gerade der Typ den ich mir unter einem Lehrer vorgestellt hatte. Dennoch entwickelte sich jenes feine Band zwischen Schüler und Lehrer, mit dem ich in die tiefsten Tiefen meiner Persönlichkeit hinabstieg. Er gab mir jedoch erst mal eher ein Stück trockenes Brot anstatt saftige Erleuchtungserfahrungen. Welche sich aber nach längerem Kauen doch immer wieder mal süßlich einstellten.
Aber als ich, mich endlich im Zustand der Einheit wähnend, mit glühenden Augen vom Arunachala zurückkehrte, ließ er mich in seiner Mysterienschule noch einmal vier Jahre lang tief in diese Psyche eintauchen, um herauszufinden, mit was für einem Schmerzpaket des Geistes ich es da zu tun hatte. Es dauerte nicht lange und ich war wieder dieses Schmerzpaket.
OM unterschied in seiner Arbeit zwischen großer und kleiner Selbsterforschung. Satsang stand für das unpersönlich Große. Und Selbsterforschung innerhalb therapeutischer Gruppenprozesse, stand für jene kleine Erforschung, welche der „Ich-Identität" gewidmet war. Auf Grundlage des Enneagrammes der Persönlichkeitsfixierungen, wurde genau angeschaut, von wem oder was dieser Geist eigentlich regiert wurde. 
Aber wie ist das, wenn man jenes zarte Wissen hat, das man nicht diese Geschichten-Maschine ist und trotzdem versucht herauszufinden wie diese Maschine gebaut ist? Jedoch wenn man anfängt, tiefer in die Schichten des Geistes einzutauchen, bleibt man unweigerlich wieder in ihm kleben. 
Wir kennen das ja nur zu gut: nach einem Durchbruch in den leeren Raum schlägt das Imperium garantiert wieder zurück. Die Gewohnheit durch den Geist zu sehen, anstatt selber gesehen zu werden, scheint sich einfach nicht auflösen zu wollen. Weshalb die meisten Advaita Lehrer davon abraten, sich noch weiter mit den Inhalten des Geistes zu beschäftigen. Nur wenige Lehrer - meistens diejenigen mit therapeutischen Hintergrund - wissen, wie kompliziert die Psyche ist und raten zu einer inneren Arbeit, die sie dann anbieten. Osho lehrte genau diese Zweiteilung des Weges, Meditation auf der einen Seite und Therapie auf der Anderen. Und während meiner Zeit im Zen wurde mir auch schmerzhaft klar, das ohne Erforschung des Geistes, all die Meditation sinnlos war. Trotzdem ist es Paradox: ausgerechnet das Advaita, sowie das Zen lehren in ihrer Radikalität den direkten Weg zu der Erfahrung der einen Wahrheit, indem keine Energie mehr mit dem Persönlichen vergeudet wird. Aber es scheint, das der westliche Geist zu vollgestopft mit der Idee einer "Persönlichkeit" ist, das es für ihn nicht reicht. Denn gerade nach dem Erwachen zeigt sich erst wie reif der Geist schon war und ob nicht jetzt erst die Arbeit losgeht. Bloß, wenn niemand mehr da ist, wer sollte dann eine Arbeit machen?
Im laufe der Jahre die ich in Satsang verbrachte, hatte ich viel Leute erwachen sehen. Ein Freund hatte plötzlich Löwenaugen und gab dann auf einmal selber Satsang. Ein anderer Freund vögelte wild in der Gegend rum, bis er sich plötzlich und seltsamerweise einen Finger abhackte. Eine Freundin veränderte sich so rapide, schrieb an alle möglichen Bekannten merkwürdige Briefe und veranstalte auf einmal SM Partys. Einer sprang sogar aus dem Fenster kurz nach dem Durchbruch, überlebt jedoch wie durch ein Wunder. Und Einige landeten in der Psychiatrie. 
Im Osten scheint es irgendwie einfacher zu sein. Alles ist darauf ausgerichtet, das Göttliche zu erfahren. Die verrückte Verhaltensweisen der indischen „Babas“ werden akzeptiert und verehrt, während ihr Verhalten bei uns als bipolare Störung eingestuft würde. Aber dort gibt es gibt auch Regeln und einen religiösen Überbau, den wir im Westen nicht im Geringsten haben. Ich bin sehr froh, in jungen Jahren schon von Osho all die spirituellen Geschichten gehört zu haben. So war ich auf einiges vorbereitet, jedoch nicht auf das, was wirklich passierte. Wenn der Wahnsinn dieses Geistes durchgespült wird, bleibt keine Ecke trocken und alles kommt zum Vorschein.
Das was wahr ist, ist unmittelbar präsent, ist einfach die unmittelbare Gegenwart des Seins. Aber es erscheint dem Geist so fern und kompliziert. Wenn der Geist sich aber umdreht und voller Schrecken erkennt, das er selber nur gesehen wird und er nur Teil einer Geschichte ist, kann das fatale Folgen haben. Wir wissen nicht was passiert, wenn dieser denkende Geist auf den großen Raum hinter ihm stößt. Wir haben keine Ahnung wie dieses immer noch als psychische Einheit vorhandene System reagiert. Tränen, Lachen, Abdrehen… alles ist möglich oder auch nix, alles ist einfach nur so, wie es ist.
Wenn wir die immerwährende Präsenz von dem erkennen, was uns die goldene Karotte verspricht und es als gegenwärtig erkennen, bleibt im Geist doch immer noch eine Persönlichkeit mit einem Prozess. Und diesem Prozess ist es ziemlich egal, ob er gesehen wird oder auch nicht. 
Mein Prozess lief auf jeden Fall nicht so, wie ich es mir in meinen gold-karottigen Träumen ausgemalt hatte. Er lief auf einen äußeren Zusammenbruch hinaus! Ich hatte mich von OM, meinem spirituellen Lehrer, nach einer gemeinsamen Zeit von sieben Jahren, verabschiedet. War alleine in die Einsamkeit aufs Land gezogen und verabschiedete mich in einem langen und schmerzhaften Prozess von allem, was noch an die Geschichte einer Person erinnerte. Zurück blieb ein Zustand von solch großer äußerlicher und innerlicher Schwäche, das ich mich schämte, meinen Söhnen vor die Augen zu treten.
OM hatte mich immer fast pathetisch gewarnt: „Auch Du wirst noch durch das Tal der „Grauheit“ schreiten müssen.“ Damit wies er auf meine Struktur hin, die immer Action und Drama wollte. Dieses Tal war verdammt lang und dauerte fast vier Jahre. Aus einer psychologischen Sicht würde man dies wohl einfach „Burn out“ oder „Depression“ nennen. Mitten in dem Prozess war aber die schauende Ebene nie ganz verschwunden. Lediglich wenn mein Geist sich einschaltete, war da eine trübselige Ödnis. Kurz gesagt: dieser Zustand war einfach ätzend und unendlich langweilig! Und das sollte nun Erwachen sein?
Irgendwann plötzlich stand etwas in mir auf, setzte sich wieder Ziele und ging zurück ins Leben. Alles wurde wieder ganz normal. Mal war ich mir meiner Gegenwart bewußt, mal war ich abgetaucht in das, was ich tat. Aber innerlich war alles gleich-gültig und ich machte trotzdem mit Freude mit.
Die Vorstellungen, die ich mal von der goldenen Karotte Erleuchtung hatte, hatten sich nicht bestätigt. Dennoch haben sie mich zu dem geführt, was wirklich ist. Denn die klare Sicht auf das was "ist", zeigt alles, was auch in den tiefen Schichten dieses Geistes gespeichert ist, und das ist wahrlich nicht immer schön. Die dunkle Nacht der Seele oder auch das Konfrontieren mit den Dämonen, ist ein unangenehmer Prozess. Einfach nur den Mut zu haben zu schauen, was in diesem Geist vor sich geht, löst große Angst aus. Und das ist auch der Grund, warum viele nicht weiter an dem Ast sägen wollen, auf dem sie sitzen.
Das Erwachen ist eigentlich ganz einfach: man hält an, bleibt hier, bleibt still. Die Schwierigkeit ist nur, auch wach zu bleiben. Denn wenn man diesen Moment so sieht, wie er ist, sieht man auch die Geistesinhalte, wie sie sind. Aus dem Innersten kommen dann diese Gefühle wie Nebelschwaden hoch, die gespeicherten Emotionen, die wir immer wegdrücken wollten, mit unserem ewigen Gerenne von einem Gedanken zum Nächsten.
Manche Erwachte scheinen das Glück des "Big Bang" gehabt zu haben. Dann gibt es scheinbar auch keinen Grund für irgendeinen Prozess mehr. Aber wenn mich meine Wahrnehmung nicht trügt, geht das sehr oft auf Kosten einer dringend notwendigen Persönlichkeitsreflektion. Ein Lehrer ist dann einfach nur noch unpersönlich. Über OM sagte einmal ein Therapeut, der ihn aus der Zeit vor seinem Erwachen kannte: "Vorher ein Arschloch, hinterher ein Arschloch." Als Mensch war er unantastbar, unfehlbar, unerreichbar, denn er war ja jenseits einer Persönlichkeit. Aber auch wenn er die empfohlene Selbstreflektion, bei sich selber nicht anwandte, so konnte er gleichwohl diese hervorragend vermitteln und gab mir die Möglichkeit, die Ganzheit von Geist und Gegenwart zu erkennen.
Aus meiner Sicht liegt die Schwierigkeit darin, während des Prozesses in der Präsenz zu bleiben. Für den Geist gibt es bei diesem Erwachensprozess nichts mehr zu greifen. Die Leere breitet sich aus und macht den Blick frei für die unendliche Weite des Raumes. Alles, was diese Leere verhindern kann, ist genau diese Persönlichkeit, die wie die Stockwerke eines Hauses aus zementierten Glaubenssätzen besteht, über einem Keller voller Dämonen unterdrückter Emotionen. Wenn dieses Haus anfängt sich aufzulösen, kann dies Stockwerk für Stockwerk geschehen oder es wird mit einem "Big Bang" einfach zerstört. Aber was ist mit dem Keller? Auch wenn das Haus zerstört ist, bleiben die Kellerräume oft intakt und mit ihnen die schleimigen Monster der Vergangenheit. Vielleicht dünsten sie in einem Prozess der „dunklen Nacht der Seele“ einfach aus, vielleicht aber baut sich darüber in der Rolle eines Erleuchteten auch ein neues Haus auf. Die Leichtigkeit der Wahrheit ist für jeden erkennbar. Die Glaubenssätze abzutragen jedoch, kann ein langwieriger Prozess sein. Die Dämonen aus dem Keller ans Licht zu holen und nicht mit ihnen zu kämpfen, sondern sie zum Tee einzuladen, ist eine Kunst, die viel Mut erfordert.
Da aber das Haus inklusive des Kellers sowieso nur ein Geist ist, nur ein illusorisches Gebäude, welches von einer ganz anderen Instanz aus einfach nur geschaut wird, gibt es mit all dem eigentlich auch kein Problem! 
Nachdem mein Freund Cyrus Bruton erwacht war und ich ihn per SMS fragte, was denn nun Erleuchtung sei, bekam ich die Antwort: "Enlightenment is a thought and unenlightenment is a thought. No locks, no keys, no you!"
Es ist lediglich der Geist, der mit dieser Geschichte wieder etwas zu fressen kriegt. Um sich wieder von neuem aufzublasen und in den Mittelpunkt zu stellen. Nur wenn dieser Prozess nicht mehr gesehen wird, da wir ja so „Eins sind mit der Präsenz“ sind, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn trotz der Erleuchtung irgendetwas anfängt zu stinken.



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